Protokoll einer Überraschung

Herzblut

Es soll endlich ein ganz normaler Freitag werden. Die Wochen zuvor waren alles andere als gewöhnlich. Der Pitch vom Vortag sitzt in den Knochen. Die Tür zum Büro ist verschlossen. Ungewöhnlich für die Uhrzeit. Nach ein paar Minuten Smalltalk zwischen Nic und mir klingelt das Telefon. Eine Computerstimme gibt Anweisungen, das Herz schlägt schneller. Ein Ordner auf dem Desktop soll geöffnet werden. Ich finde ihn vor Aufregung erst nicht.

Im ersten Moment erkennen wir den erpresserischen Anruf und das mysteriöse Video nicht als einen gut gemeinten Scherz. Verwirrung. Zurückspulen und noch einmal ansehen. Es macht Klick, anscheinend wird es lustig. Wir sollen zum Schrank gehen. Türe auf und reinschauen: Klamotten aus längst vergangenen Tagen, ein bedrucktes T-Shirt, eine alte Brille, bedruckte Luftballons und ein betagter VW-Schlüssel. Unsere Ausstattung für den Tag.

Völliges Durcheinander im Kopf, im Bauch. Was passiert jetzt? Erste Kameras entdeckt. Ein Blick aus dem Fenster zeigt ein Auto auf dem Parkplatz, verhüllt. Schnell runter und nachsehen. Vielleicht sitzen alle im Auto und springen heraus, wenn wir runterkommen. Nix da, das Auto ist leer. Ein alter Golf 2, mein erstes Auto. Tolle Idee. Er ist liebevoll beklebt: „10 Jahre LT – Nic und Tim on Tour“. Er hat ein LT-Nummernschild, ist offenbar angemeldet und vollgetankt.

Ein Umschlag mit weiteren Anweisungen. Die Aufregung wird zur Begeisterung. Eine Kamera auf dem spartanischen Amaturenbrett grinst uns an. Es geht los zur ersten Station. Aus dem Nichts taucht ein Auto mit Kamera hinter uns auf. Wir werden verfolgt, legen die CD mit Erinnungshits ein, drehen die Musik auf, fahren Schlangenlinien, vergessen an der Ampel das Zwischengas und bleiben mit Gelächter stehen.

Es folgen knapp 330 Kilometer zu sieben Kundenstationen. Überall Überraschungen, Menschen aus dieser tollen Zeit bedanken sich. Handschläge, Umarmungen, Dankesreden, Erinnerungen. Das Auto füllt sich mit jedem Besuch. Ein Kuchen, bunte Plastikbälle, bedruckte Schirme, eine Schubkarre, Edelstahl-Anfertigungen, eine Palme, ein Bild, LT-Werbegeschenke usw. Wermelskirchen, Radevormwald, Remscheid, Köln, Mönchengladbach, Rheinberg und wieder Wermelskirchen. 330 Kilometer mit vier Gängen, null Assistenzsystem und ohrenbetäubendem Lärm, insbesondere als die zitternde Tachonadel kurz auf 180 ist.

Voller Eindrücke halten wir am Ort der ersten Büroadresse. Das Gemeindehaus in Dabringhausen. Dort fing alles an. Der Pfarrer empfängt uns, überreicht uns den alten Mietvertrag. 17 Quadratmeter, 150 Mark im Monat. Wir bekommen das letzte Puzzle-Teil und eine Rhabarber-Schorle, scannen den QR-Code und kriegen eine Adresse angezeigt. Auf geht es zur Waldhütte in Osminghausen. Austragungsort einer legendären Weihnachtsfeier in der Vergangenheit.

Die letzten Meter. Alle stehen am Tor. Überall Luftballons, Girlanden und gespannte Gesichter. Die Abendsonne im Rücken. Aussteigen, wieder Umarmungen. Aufregung, Musik: „Ein Hoch auf uns.“ Sekt, Begrüßungsschnaps. Das Chaos im Auto ergibt Sinn, alle Teile werden für eine letzte Aufgabe gebraucht. Schubkarrenrennen im kleinen Kreis, Insiderwitze, Bier. Dann Grillen, endlich was essen und erzählen.

„Nicht umdrehen“, es kommt noch eine Überraschung. Wieder Aufregung, wieder Fragezeichen. Auflösung und totale Begeisterung. Da steht er, der DJ der guten Laune. Gefeierter YouTube-Star. Herzrasen, Freude und eine anschließende Party, die so schnell nicht vergessen wird. Schambefreit tanzen, reden am Lagerfeuer, mit Kopfschmerztablette ins Bett.

Aufwachen, keine Kopfschmerzen. Das Kopfkissen riecht nach Lagerfeuer. Realisieren was passiert ist. Traumhaft. 10 Jahre Selbstständigkeit. Besser hätte man die Emotionen dieser Zeit nicht in einem Tag aufleben lassen können. Und es bleibt in Summe das Gefühl, geliebt zu sein… von den Menschen, die einen täglich umgeben. Und die Gewissheit, dass es Pläne gibt, die wir uns nicht vorstellen können. Fürs Leben und für Freitage.


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